INHALT

EDITORIAL

Inhalt
 

Barbara Jakel

Pränatale Bindung und transpersonales Erleben
 

Rainer Münk

Empathisch provozieren – mit dem Widerstand spielen – heilsam verrückt sein
 

 Angelika Korp

Berührung in der Körperpsychotherapie
 

Peter Steiner

Bioenergetische Phänomene in der westlichen Literatur
 

Helen Müller Hofer

Zur präverbalen Entwicklung des Menschen
 

Bettina Alberti

Vom Halten, Gehalten werden und sich Niederlassen
 

Dr. Heribert Vogt

Biosynthese: Eine somatisch und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
 

Dr. Franz Renggli

Der Ursprung der Angst

 

Editorial

 

 

Von:
David Boadella
Silvia Specht Boadella
Gisela Wallbruch

 

 

 

 

Liebe Leserinnen und liebe Leser,

Energie & Charakter ist eine Zeitschrift, die sich von jeher mit somatisch und tiefenpsychologisch fundierten psychotherapeutischen Themen befasst. In den letzten Jahren haben wir diese durch ein neues Verständnis wichtiger Aspekte aus dem Bereich der Säuglingsforschung unter Einbeziehung (vor-)geburtlicher Erfahrungen und deren therapeutische Umsetzung vertiefen können und werden dies auch weiterhin tun. Sie bilden nicht zuletzt eine wesentliche Grundlage der Biosynthese wie auch einiger anderer körperpsychotherapeutischer Schulen.
 

In der täglichen therapeutischen Praxis erleben wir immer wieder, dass Menschen, die wir auf dem Weg ihrer Entwicklung begleiten, in komplexe Prozesse bzw. Zustände hinein geraten, die progressiver oder regressiver Natur sein können. Zuweilen ist es dabei nicht ganz einfach, zu erkennen, ob dieser Prozesse pathologischer Natur oder Teil einer psycho-physischen bzw. spirituellen Transformation im gesundesten Sinne einer ‘Neugeburt’ sind. Es bedarf für den angemessenen therapeutischen Umgang eines entsprechenden (inneren) Wissens um diese Phänomene und sicherlich auch einiger (Selbst-) Erfahrung, um Klienten auf dem Weg ihrer tiefen psychischen Transformation liebevoll, sicher und stützend ‘loslassen’ zu können, damit sich deren Prozess ungestört entwickeln und zum Abschluss gelangen kann. In diesem Sinne wollen wir künftig durchaus auch immer wieder Menschen zu Worte kommen lassen, die sich – sicherlich zunächst ganz unbewusst oder ungewollt, dann aber ganz bewusst – auf eine lebenslange prozesshafte Reise begeben haben, um ihre Spiritualität ausbilden und leben zu können. Ronald Laings Thesen über das ‘Lernen aus Erfahrung’ in Verbindung mit David Boadellas ‘Erster Form des Wissens: dem Inneren Wissen’, bekommen dadurch eine ganz reale und praktische Bedeutung.
 

 

 

Und so haben wir uns entschlossen, in dieser Ausgabe von Energie & Charakter den (Selbst-)Erfahrungsbericht ‘Bioenergetische Phänomene in der westlichen Literatur’ von Peter Steiner zu veröffentlichen, in dem der Autor aus seinen eigenen inneren Erfahrungsprozessen heraus versucht, anhand von Indizien und Vergleichen zwischen verschiedenen Autoren – vor allem anhand der Bücher ‘Der kleine Hobbit’ und ‘Der Herr der Ringe’ von J.R.R. Tolkien – aufzuzeigen, dass in der europäischen Literatur in verschlüsselter Form von etwas erzählt wird, das in der indischen Kultur Kundalini genannt wird. Dabei lässt sich eine herbe Kritik an der speziell von uns im Westen geschaffenen Welt nicht vermeiden.
 

 

In ihrem Artikel ‘Pränatale Bindung und transpersonales Erleben’ zeigt Barbara Jakel aus ihrer Eigenerfahrung heraus die engen Zusammenhänge zwischen den (vor-)geburtlichen Lebenserfahrungen und den transpersonalen Aspekten als spirituell Suchende auf. Durch ihre persönlichen Erfahrungen der Ich-Auflösung und des Verschmelzens während tiefer Regressionen, die bis in die pränatale Zeit reichten, sowie in meditativer Versenkung kam sie darauf, dass beide Erfahrungen eine gemeinsame, transpersonale Qualität des Erlebens hatten. Die ‘Ichlosigkeit’, wie dies schon A. Maslow (1976) deutlich gemacht hat, bedeutet jedoch keinen Verlust von Identität oder Bewusstsein. Vielmehr ‘scheint es, als verlagere sich das Bewusstsein auf eine höhere Ebene, von wo aus die normale Ebene als uneigentlich, unecht oder direkt illusorisch erlebt wird’ (siehe Ole Vedfelt, 2000). Während Ken Wilber zwischen dem differenziert, was er präpersonale und transpersonale Erfahrungen nennt, berichtet die Autorin über die spirituellen Dimensionen der pränatalen Existenz und nähert sich dabei in ihrer Auffassung transpersonaler Aspekte des Lebens in der Gebärmutter eher denen von Stanislav Grof an.
 

Was der Tom Waits Song ‘The piano has been drinkin ... not me!’ mit der ‘Berührung in der Körperpsychotherapie’ zu tun hat, erläutert Angelika Korp in ihrem gleichnamigen Artikel. Die Autorin sah körperpsychotherapeutische Berührung a priori als heilend an, als belebend, beruhigend, den eigenen inneren Prozess fördernd – was auch immer ‘der Prozess’ war. Es galt das Vertrauen darauf, dass das, was unter der Oberfläche schwelt, sich seinen eigenen Weg bahnen werde und in diesem Zusammenhang war Berührung gut per se. Dann stellten sich jedoch nagende Zweifel ein. Sie fütterte und fütterte und machte dennoch die Erfahrung: Nicht gut genug, nicht genug, genau am Bedürfnis vorbei, den Mangel nie füllen, immer noch nicht genug, nie genug.
 

 

 

‘Zur präverbalen Entwicklung des Menschen’ äußert sich Helen Müller-Hofer und bezieht sich dabei auf R. Lempps Buch: Vom Verlust der Fähigkeit, sich selber zu betrachten. Psychiatrie überhaupt, besonders aber die Psychiatrie des Erwachsenenalters sollte, um Zugang zu den Störungsbildern ihrer Patienten zu finden, den Mut haben, sich einmal von den somatischen Krankheitsvorstellungen freizumachen und sich zum einen an den Erfahrungen und Kenntnissen der Entwicklungspsychologie zu orientieren, d.h. zu berücksichtigen, wie sich denn die Psyche im Kleinkindesalter entwickelt, und zum anderen unvoreingenommen die Äusserungen ihrer Patienten ernst zu nehmen, versuchen, sie zu verstehen, und ihr Verhalten zu beobachten, ohne dabei immer nach einer Krankheitseinheit zu suchen’.
 

 

Vom Halten, Gehalten werden und sich ‘Niederlassen’ handelt der Beitrag von Bettina Alberti, in dem es um Bindungsthemen bei der psychotherapeutischen Arbeit mit Klienten geht, die eine frühgestörte Struktur aufweisen. Insbesondere in den letzten Jahren begegneten ihr zunehmend Klienten, die zu den Menschen mit sogenannten ‘Frühstörungen‘ gehören. Dass solche Menschen zunehmend den Weg zu ihrer Therapierichtung suchen und finden, mag – neben der erweiterten Kenntnis und dem Bewusstsein darüber – unter anderem daran liegen, dass ein wichtiges Element für sie in der besonderen Beachtung und dem Aufbau einer langfristigen emotionalen Bindung besteht.
 

In dem Artikel ‘Empathisch provozieren – mit dem Widerstand spielen – heilsam verrückt sein’ werden Verbindungen zwischen den Ansätzen von Frank Farrelly, Carl Rogers und Wilhelm Reich herausgearbeitet. Es wird gezeigt, dass Farrellys Provokative Therapie in gewisser Hinsicht auf zentralen Konzepten von Rogers und Reich aufbaut bzw. an diese anknüpft und sie auf unkonventionelle Art umsetzt bzw. weiterentwickelt. Dabei ist sich der Autor Rainer Münk darüber im klaren, dass Provokation nur dann heilsam sein kann, wenn die darunter liegende Haltung des Therapeuten zutiefst empathisch ist, begleitet von warmer Akzeptanz und Unterstützung der nonverbalen Ebene.
 

 

 

Der Mediziner und Redakteur Dr. Heribert Vogt bezieht sich in seinem Artikel ‘Biosynthese: eine somatisch und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie’ auf den ZEIT-Beitrag ‘Krank ohne Befund’ und führt darin aus, wie in der Biosynthese die drei wesentlichen Grundprinzipien der menschlichen Natur – Körper, Geist, Seele – wieder in das Leben integriert werden. Den Schwerpunkt seiner Ausführungen legt er dabei auf die Prinzipien und Methoden der Biosynthese und Patienten mit Herzproblemen, und hier insbesondere die Herz-Angst. Der Autor hielt diesen Vortrag anläßlich des Biosynthese-Kongresses in Zürich im Oktober 2001.
 

Einen faszinierenden Einblick in die ‘Ursprung der Angst bzw. die älteste Mythologie der Menschen im Spiegel prä- und perinatalen Erlebens’ gibt uns Dr. Franz Renggli. Er fand in seinen Forschungen heraus, dass sich die Zeugnisse frühkindlicher Dramen, nämlich die (zu frühe) Trennung eines Babys von seiner Mutter, in den vergleichbaren Mythen nahezu aller Kulturen der Welt wiederfinden. Für ihn sind die Mythen die großen Träume eines Volkes, so wie der Traum der ‘private Mythos’ eines Menschen darstellt (Campbell / Jung).
 

 

Erwähnen möchten wir, dass diese Ausgabe von Energie & Charakter die 100ste ist. Im letzten Drittel des Jahrhunderts haben wir rund 74 englische und 26 deutsche Hefte kreieren können. Wir, Silvia und David Boadella als Herausgeber, verbinden damit unseren besonderen Dank an Gisela Wallbruch als Redakteurin, Petra Bär und Dieter Krieger als Designer für die fruchtbare und kreative Zusammenarbeit. Unser Dank gilt darüber hinaus auch dem großen Zuspruch und Interesse unserer Abonnenten, unseren Autoren und dem Internationalen Editorial Advisory Board.

Ihnen allen wünschen wir ein produktives und kreatives, gesundes Neues Jahr.
 

©IIBS  Stand: Februar 2003.
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